Vorweg gesagt
„Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ so heißt ein wundervolles Album der deutschen Band Kettcar. Es hat mich zu den folgenden Blitzgedanken zum Sprichwort „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ angeregt. Ich mag Kettcars nachdenkliche Texte mit Tiefgang, und tatsächlich finde auch ich in diesem alten wie einfachen Sprichwort viel Weisheit und Stoff zum Philosophieren.
Fragen
Was heißt „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“? Woher kommt dieses Sprichwort? Was bedeutet es im Alltag? Was ist genauer damit gemeint? Wieso ist der Spatz in der Hand besser? Warum ist er besonders? Und warum ist gerade die Verbindung von Spatz und Taube so interessant?
Von Spatzen und Händen, Dächern und Tauben im Folgenden mehr.
Von Spatzen und Tauben
Zunächst frage ich mich, ob ein Spatz (Haussperling) oder eine Taube ein schöner Vogel ist. Natürlich mag man einwenden, dass das doch wohl Geschmackssache sei. Auch wäre es dann Geschmackssache, welcher der beiden Vögel schöner ist. Gemeinhin hält man mit Blick auf das Sprichwort die Taube für schöner, für wertvoller. Das hat sehr wahrscheinlich seinen Ursprung in der Bibel – wie so viele alte Sprüche Europas.
Von Spatzen …
Der Spatz kommt sehr oft in der Bibel vor. Er ist dort ein sehr einfacher Vogel, der arm ist und nicht viel braucht zum Leben. So nehmen ihn auch die meisten Menschen war: gewöhnlich, nichts besonderes. Spatzen tauchen in großen Scharen in jeder Siedlung auf. Im Lukas-Evangelium heißt es z.B.: „Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Schwarm Spatzen.“
Spatzen sind sehr klein, und scheinen wenig Bedeutung zu haben. Dennoch gibt es die Legende, dass die Spatzen die Seelen der Menschen vom Himmel zu ihnen auf die Erde bringen. Gäbe es keine Spatzen mehr, würde ein seelenloses Kind geboren werden. Dunkle okkulte Geschichten voller biblischer Symbolik. – Der Spatz ist wohl so unwichtig nicht.
… und Tauben
Auch die Taube kommt in der Bibel vor. Etwa als die Sintflut zurückgeht, und die weiße Friedenstaube den Zweig zu Noah bringt und damit Land und ein glückliches Ende für die lange Fahrt der Arche verkündet. In dieser Situation hat sie eine sehr edle Funktion. Des Weiteren ist es bei großen Festen wie Hochzeiten oft Brauch, einen Schwarm weiße Tauben in den Himmel fliegen zu lassen. Sie sollen dem frisch vermählten Brautpaar anhaltende Liebe, Glück und eine gute Partnerschaft bringen.
Im Ruhrgebiet, aber auch vielen anderen Regionen, gab es vor allem früher eine starke Gruppe von Taubenzüchter*innen, oft im Verein. Sie züchteten ihre Tauben vor allem als Teilnehmerinnen von Wettrennen. Für solche Rennen wurden die Tauben gut genährt und trainiert und dann mit Kennring am Fuß versehen. Nun wurden sie gemeinsam mit ihren gefiederten Mitstreitern viele hundert, machmal tausende Kilometer weit weg transportiert.
Dort, in der entfernten Fremde, wurden sie freigelassen. Und schon zeigten die Tiere ihren ausgeprägten Orientierungssinn und ihr Heimatgefühl. Schnell flogen sie, mit so wenig Unterbrechungen wie möglich, in ihren Heimat-Taubenschlag zurück. Dort wartete schon ihr Besitzer sehnsüchtig, um ihnen bei Ankunft den Kennring abzunehmen, der beim Wettkampfveranstalter als Zeitmesser dient.
Gute Renntauben waren und sind viel wert. Im Jahr 2020 wurde „New Kim“, eine Top-Taube von Züchtern aus Berlaar in der Provinz Antwerpen, sogar für einen Rekordbetrag von 1,6 Millionen Euro von einem anonymen Käufer aus China ersteigert.
… und Tauben in Städten
Tauben sind wertvolle Tiere. Dennoch gibt es auch Situationen, in denen die Taube kein schöner Vogel ist. In den modernen Städten sind Tauben zu verwahrlosten Kreaturen verkommen. Auch wenn sie dafür nichts können. Denn der Hauptgrund ist, dass sie aufgrund der vielen Abwehrnadeln an Simsen und Dächern keinen Platz mehr finden. Fehlende Natur und viel Verkehr in den Städten tun ihr übriges. Tauben sind heutzutage oft nicht gern gesehene Gäste im Stadtbild. Von Venedig mal abgesehen.
Wie auch immer: Eine gepflegte, weiße Taube hat viel Anmut und ist vor allem auch heute noch unmissverständliches Symbol für Frieden in einer Welt, die der Krieg an den Abgrund treibt.
Grundsätzliche Bedeutung von „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“
Die Redewendung „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ meint grundsätzlich, dass man mit dem zufrieden sein soll, was man hat. Insbesondere statt etwas Größeres zu wollen, was aber unerreichbar ist.
Wenn jemand sagt „Lieber den Spatz in der Hand“ betont er damit, dass Sicherheit und Genügsamkeit besonders gut und positiv sind. Schließlich kann es gut sein, dass wenn man den Spatz fliegen lässt, und versucht, „die Taube auf dem Dach“ zu bekommen, man am Ende leer ausgeht.
Zum einen geht es in dem Sprichwort um Besitz oder Vermögen. Darum, etwas bestimmtes zu haben. Zum anderen aber auch darum, sich zwischen zwei Dingen entscheiden zu müssen. Oder zumindest sie gegeneinander abzuwägen. Dies müssen nicht zwangsläufig materielle Dinge sein.
Beispiele für Spatzen und Tauben
- Ein altes, stabiles Fahrrad und das sehr teure, filigrane Rennrad, auf das lange gespart werden muss, und das wenig alltagstauglich ist.
- Ein Käsebrot auf dem Teller und die Aussicht auf ein Croissant für den Fall, dass der Bäcker vielleicht noch welche zu verkaufen hat.
- Zwei zur Auswahl stehende Varianten bei einer Schachpartie: eine mit möglichem Mattangriff (die Taube) und vielen Opfern und die andere mit leichten, dauerhaften positionellen Vorteil (der Spatz).
- Die Berufswahl im Leben zwischen jahrelangem, entbehrungsreichem Studium mit der fernen Aussicht eines guten Abschlusses und besserem Gehalt (die Taube), aber auch dem Risiko des Studienabbruchs und dem sozialen Abstieg ohne Berufsabschluss einerseits. Und die kurze, vergleichsweise einfache Ausbildung mit schnellem Abschluss und geringerem Gehalt aber sicherer Anstellung andererseits (der Spatz).
- Der Spatz: Die kleine Wohnung mit gut finanzierbarer Miete einerseits, und die Taube, die mit hoher Hypothek belastete Immobilie andererseits, die irgendwann Eigentum sein könnte.
Das Sprichwort „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ in anderen Sprachen
Das Sprichwort ist sehr tief in der Europäischen Geschichte verwurzelt. Insofern wundert es nicht, dass es auch in anderen Sprachen, wenngleich abgewandelt, vorkommt. In Englisch z.B. heißt es: „A bird in the hand is worth two in the bush.“. Vielleicht wörtlich etwas wie: „Ein Vogel in der Hand ist soviel wert, wie zwei im Busch.“. Oder auch „dry bread at home is better than roast meat abroad“, also wörtlich etwa „trockenes Brot zu Hause ist besser als Fleischbraten in der Fremde“.
Im Französische dabei wiederum: <<un „tiens“ c’est mieux que deux „tu l’auras“>>. Wörtlich: <<ein „hier (nimm)“ ist besser als zwei „du kriegst es“>>. Das französische Sprichwort zielt dabei speziell auf Gegenwart und Zukunft ab. Die Gegenwart hat man (in der Hand).
Auf Italienisch heißt es indes „meglio un uovo oggi che una gallina domani.“, also „Lieber heute ein Ei als morgen ein Huhn.“. Auch hier der Vergleich von heute und morgen, statt der Orte „Hand“ und „Dach“ im Deutschen. Natürlich ist ein Huhn wertvoller als ein Ei, legt es doch viele neue Eier.
Es wäre interessant zu sehen, in welcher europäischen Sprache es keine Entsprechung zu dem Sprichwort gibt.
Eine ähnliche oder verwandte Redewendung hatten übrigens auch die Germanen: „Eine Krähe in der Hand ist besser als zwei im Busch.“ (Lachstal Saga), wobei die Krähe der Seelenvogel der Germanen war.
Fazit zum Sprichwort „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“
Was macht den Spatz, den man in der Hand sicher hat, so viel besser, als die Taube, die man auf dem Dach in Aussicht hat? Nicht nur unser Sprichwort beschreibt diese Erkenntnis. Auch der Philosoph Epikur in der Antike sagte dazu schon:
Wer mit wenig nicht zufrieden ist, ist mit nichts zufrieden.
Epikur
Und tatsächlich ist diese Erkenntnis Epikurs das Sprichwort von Spatz und Taube konsequent zu Ende gedacht. Denn wenn man immer wieder das, was man hat, „fliegen“ lässt, um nach Besserem (der Taube) „auf dem Dach“, in der Ferne, weit weg zu suchen und zu streben, landet man irgendwann bei … nichts! Irgendwann nämlich kommt eine angestrebte „Taube“, die man nicht mehr erreicht, und das Wenige ist weg.
Genauer auf unsere moderne, kapitalistische Gesellschaft angewandt sagt diese Weisheit uns vor allem, dass man beim dauernden Streben nach mehr am Ende verlernt, überhaupt noch glücklich und zufrieden zu sein.
Achte auf das Kleine in der Welt! Die wichtigsten Dinge im Leben kann man ohnehin für Geld nicht kaufen. Oder auch …
Live long and prosper!
Vulkanisches Sprichwort (Star Trek)
Diesem Wunsch schließe ich mich von Herzen an.
SH, 09.04.2022
Update SH, 12.2023
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