Sicher kennst Du das auch. Du siehst eine Schafherde auf der Weide und alle Schafe sind weiß. – Doch nein. Da ist auch eines, das schwarz ist. Die Regel ist durchbrochen. Die Ausnahme ist da. Schafe sind fast immer weiß. Tatsächlich nämlich gibt es viele Regeln, die erst richtig sind, weil es eben auch Ausnahmen davon gibt. Streng genommen gibt es m.E. sogar keine Regel ohne Ausnahme. So kommt es zu dem Sprichwort „Ausnahmen bestätigen die Regel“. Man sagst dies um zu bekräftigen, dass die Ausnahme nichts an der Regel ändert. Doch die Wurzeln des Sprichworts liegen sogar tiefer. Davon im Folgenden mehr.
Also was heißt das genau? Wieso bestätigt die Ausnahme die Regel? Woher kommt der Ausdruck? Was bedeutet er im Alltag? In der Naturwissenschaft? Wieso sind 100%ig gültige Regeln so selten, ja führen sogar oft zum Widerspruch? Warum hat die Ausnahme solche Bedeutung? – Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
Grundsätzliche Bedeutung
Mit den Worten „Ausnahmen bestätigen die Regel“ betont man, dass die Regel sogar an Aussagekraft gewinnt, dadurch dass man eine Ausnahme von ihr entdeckt hat. Ja, dass es sogar der Normalfall ist, dass eine Regel nicht immer gilt. Das Wesen der Ausnahme ist, dass sie sehr selten auftritt. Sie ist quasi das Gegenteil einer Regelmäßigkeit, doch gehören beide auch in gewisser Weise zusammen.
Ein perfekter Kreis etwa ist extrem regelmäßig: Alle Punkte darauf haben exakt dengleichen Abstand zum Mittelpunkt M, nämlich den Radius r. Im realen Universum gibt es nicht einen einzigen perfekten Kreis. Ein spitzfindiger Philosoph würde sagen, dass der Kreis ein Gedankenkonstrukt ist, das es real gar nicht gibt. Der Grund ist, dass jedes noch so gut scheinende Beispiel für einen Kreis (oder Kugel) bei genauem Hinsehen Abweichungen von der Perfektion zeigt. Ein Wassertropfen im Weltall etwa ist zwar sehr rund, weil keine Gravitation auf ihn wirkt. Aber einzelne Wassermoleküle auf der Oberfläche verlassen den Tropfen in ihrer Dynamik: der Kreis (die Kugel) ist nicht perfekt. Dennoch bestätigen die wenigen Ausreißer die nahezu perfekte Kugelform des Tropfens: „Ausnahmen bestätigen die Regel.“
Zum einen weist das Sprichwort darauf, dass nichts im Universum perfekt ist. Nichts materiell Reales jedenfalls. Zum anderen zeigt es, dass eine Regel eigentlich durch die auftretenden Ausnahmen erst bekräftigt wird. Denn indem die Ausnahme als Ausnahme erkannt wird, wird auch die Häufigkeit des Auftretens der Regel erkannt. Der seltene Einzelfall steht plötzlich dem fast allgemeingültigen Regelfall gegenüber. Die Feststellung einer expliziten Ausnahme lässt auf das Vorhandensein einer Regel schließen, die in den nicht von dieser Ausnahme betroffenen Fällen gilt. Deshalb sagt man „Ausnahmen bestätigen die Regel“.
Beispiele
„Ausnahmen bestätigen die Regel“ – Beispiele:
- Eine Regel aus der Biologie lautet: „Die Lebewesen auf unserem Planeten lassen sich aufteilen in Pflanzen, Tiere und Menschen.“. Doch es gibt Ausnahmen:
- Pilze sind weder Pflanzen noch Tiere, oder
- Gentechnik kann Chimären hervorbringen.
- Wenn man vom „verkaufsoffenen Sonntag“ liest, kann man darauf schließen, dass normalerweise – in der Regel – an Sonntagen kein Geschäft offen hat.
- Ausnahmen bestätigen die Regel. – in einer Straße herrscht Parkverbot, außer zwischen 20:00 und 6:00 Uhr.
- Dann eine Regel aus meinem Hobby: „Wenn ich Schach spiele und auf der gegnerischen Grundreihe einen Bauern umwandle, hole ich mir eine Dame dafür.“ Auch hier gibt es seltene Ausnahmen: Ist das Einzugsfeld ein Ausgangspunkt für eine Springergabel, mit der ich Dame und König attackieren kann. Dann wandle ich lieber in einen Springer um, gewinne die Dame und habe effektiv eine Figur mehr.
Alles zu „Ausnahmen bestätigen die Regel“
Ursprung
Die Herkunft des Sprichwortes reicht sehr, sehr weit zurück. Bis in die Antike. Das Sprichwort ist abgeleitet vom lateinischen exceptio probat regulam in casibus non exceptis („Die Ausnahme bestätigt die Regel in den nicht ausgenommenen Fällen.“). Cicero wandte sie in der Verteidigung Lucius Cornelius Balbus Maiors an. Er argumentierte, dass wenn eine Ausnahme eine Handlung illegal mache, dann sei diese Handlung in den anderen Fällen, die nicht von dieser Ausnahme betroffen sind, als gesetzeskonform zu bewerten.
Das Sprichwort „Ausnahmen bestätigen die Regel“ in anderen Sprachen
Wie schon das Sprichwort „Aller guten Dinge sind drei“ ist auch dieses entsprechend tief in der Europäischen Geschichte verwurzelt. So kommt es auch in anderen Sprachen, wenngleich abgewandelt, vor. In Englisch z.B. heißt es: „the exception that proves the rule“. Vielleicht wörtlich etwas wie: „die Ausnahme, die die Regel beweist“.
Im Französische dabei wiederum: „c’est l’exception qui confirme la règle“. Wörtlich: „es ist die Ausnahme, die die Regel bekräftigt“.
Auf Italienisch heißt es indes „l’eccezione che conferma la regola“, also „die Ausnahme, die die Regel bestätigt“. – Es wäre interessant zu sehen, in welcher europäischen Sprache es keine Entsprechung zu dem Sprichwort gibt.
„Ausnahmen bestätigen die Regel“ im Alltag
Im Alltag sagt man manchmal salopp „Ausnahmen bestätigen die Regel“ und meint damit eine klassische Daumenregel, also eine Regel, die ohnehin nicht fast immer gilt, sondern eher grob, ungefähr. Um solche Daumenregeln zu rechtfertigen wird oft unser Sprichwort hier bemüht. Die Rechtssprechung und die Bürokratie bestehen in ihrem Wesen darin Regeln festzulegen. Auch wenn es keine absoluten Regeln geben kann, wie schon gesagt, so versucht die Bürokratie doch genau das: alles in absolute Regeln zu fassen. Nur wenn Du diesen Antrag ausfüllst, kannst Du dies oder jenes beantragen.
Mathematik, Gesetze und die „Ausnahmen“
Gesetze in der Mathematik: In der Mathematik hat man oft das Problem, eine Behauptung beweisen zu wollen. Anders als im realen Leben sind Behauptungen hier entweder wahr oder falsch. Ein Ausdruck, über den sich nicht sagen lässt, ob er wahr oder falsch ist, ist hier schlicht keine Behauptung. Nun gibt es in der Mathematik oft eine sehr elegante Methode, eine Behauptung zu beweisen. Man nimmt nämlich das Gegenteil an und folgert dann logisch daraus einen Widerspruch – was oft sehr leicht ist. Damit ist die ursprüngliche Behauptung bewiesen. Nicht ganz das, was das Sprichwort meint, aber die Mathematik lässt keine Ausnahmen von „wahr“ zu. Eine Behauptung kann nicht meistens wahr sein, sondern nur immer wahr oder immer falsch.
Wissenschaft und „Ausnahmen bestätigen die Regel“
In der Wissenschaft geht man normalerweise klar vom Ursache-Wirkungsprinzip aus. Interessant ist eine Regel aus der Physik (Optik), die lautet:
„Propagiert Licht von einem optisch dichteren in einen optisch dünneren Stoff über, dann ist der Brechungswinkel größer als der Einfallswinkel. Vergrößert man nun den Einfallswinkel noch weiter, dann wird das Licht an der Grenzfläche vollständig reflektiert. Dieser Vorgang wird Totalreflexion genannt.“
Doch auch hier gibt es eine Ausnahme: Bringt man an die Grenzfläche ein zweites optisch dichteres Medium mit einem winzigen Spalt zum ersten, so tritt der sogenannte Tunneleffekt auf. Ein Phänomen aus der Quantentheorie. Ein Teil des Lichtstrahls wird ausgekoppelt (tunnelt durch die Barriere) und erreicht das zweite dichtere Medium auf unerwartete Art.
Fazit
Ausnahmen sind im wahrsten Sinne etwas besonderes, außergewöhnlich. Sie sind der Fehler von der Perfektion. Und zugleich zeigen sie uns fast allgemeingültige Regeln. Regeln, die wir ohne die Ausnahmen vielleicht gar nicht entdeckt hätten. Oder Regeln, die sich nicht aufrechterhalten ließen, wenn es nicht auch Ausnahmen gäbe.
Sucht man nach einer Regel in einem unbekannten Terrain, so wird man gerade damit beginnen: Alle Vorkomnisse, alle Ereignisse nach „regelhaft“ und „ausnahmsweise“ zu sortieren.
Nur in der reinen Mathematik kommt man mit absoluten Regeln zurecht, die keine Ausnahmen dulden. Doch schon der berühmte Mathematiker Kurt Gödel sagte:
All generalisations – perhaps except this one – are false.
Kurt Gödel
Absolute Regeln passen nur zu einer Diktatur. Doch hier sind es dann in der Regel die Mächtigen, die Ochlokraten, die sich nicht an Regeln und Gesetze halten. Um ehrlich zu sein, wenn ich dies so schreibe, finde ich, dass auch in unserer ehrwürdigen Demokratie die Mächtigen, die Politiker und Großindustriellen, sich das unmoralische Recht nehmen, eine Extrawurst zu sein. Nicht ohne Grund schrieb ein Influenzer neulich: „Die 3G-Regel wird in Deutschland fast so streng kontrolliert, wie die Steuerhinterziehung der Superreichen.“
Also: Sei nicht so streng mit Dir. Du bist ein guter, liebenswerter Mensch! Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Es sind nämlich oft die die wirklich verachtenswerten Menschen, die sich selbst subjektiv ja für so „wunderbar“, „toll“ und „perfekt“ halten und sich über andere erheben.
In diesem Sinne. Bleib Dir treu!
SH, 26.11.2021
Update SH, 26.01.2023
Update SH, 05.2024
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